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Von der Lebenskunst zum Wohlfahrts-staat

Von der Lebenskunst zum Wohlfahrts-staat

Seit Jahrtausenden wird darüber gestritten, wieweit derMensch seines Glückes Schmied und für sein Glück verantwort-lich ist. Gestritten wird zugleich darüber, wieweit er für dasGlück anderer verantwortlich ist. Eine offensichtliche Bedin-gungfürbeidesist,dasseraufdaseigeneoderfremdeGlückeinwirken kann, dass er eigenem und fremdem Unglück nichtgänzlich hilflos gegenübersteht. Wieweit sind Lebensklugheitund Willenskraft in der Lage, uns weniger unglücklich zu ma-chen, als wir sind? Wieweit sind Psychiatrie und Psychotherapiein der Lage, andere weniger unglücklich zu machen, als siesind? Ist Glück„machbar“–zumindest ein Stück weit?Die westliche Tradition der Philosophie ist in beiden Punktenüberwiegend antifatalistisch:Antike Glückslehren und moder-ne Sozialpolitik gehen darin konform, dass Glück zwar niemalsvollständig, aber doch weitgehend beeinflussbar ist–sowohlvom Unglücklichen selbst als auch von anderen.Am weitesten in der Verantwortungszuweisung an den Un-glücklichen selbst geht die Glückslehre des Stoizismus. Hier istGlück ausschließlich eine Sache individueller Willensanstren-gung: Wer nicht glücklich ist, ist selber schuld. Damit ist auchdie Diskrepanz von Glück und Verdienst aufgehoben–ein Skan-dalon, das ansonsten regelmäßig Anlass zu Klagen über die Un-gerechtigkeit der Welt gibt. Nach der stoischen Lehre ist Glücknicht zu trennen vonTugend, und Tugend ist eine Sache von gu-ten Vorsätzen und Disziplin:Yes we can. Ein Extrem auf der Seiteder kollektiven Verantwortung ist der Rigorismus des sozialenGlücks im neuzeitlichen Utilitarismus: Regierungen und Gesell-schaft haben nicht nur die Aufgabe, individuelle Freiheit zu res-pektieren, den Frieden zu erhalten und Gerechtigkeit walten zulassen, sondern darüber hinaus das„größte Glück der größten 
Zahl“zu verwirklichen. Der Staat wird zum Wohlfahrtsstaat, dieGesellschaft zum Solidarverband.Nicht nur in der Überzeugung von der (begrenzten)„Mach-barkeit“des Glücks bestehen zwischen antiken und modernenGlückslehren Gemeinsamkeiten. Weitgehende Einigkeit be-steht auch über den Inhalt unddie Bedingungen des Glücks.FürdasindividuelleGlückwirdderKönigswegregelmäßigindrei Strategien gesehen; in der Mäßigung der Leidenschaften,der Einübung von Frustrationstoleranz und der Freundschaft-lichkeit im sozialen Umgang. Unabdingbare Elemente des kol-lektiven Glücks sind Erhaltung des äußeren und inneren Frie-dens, Sicherung des Existenzminimums und sozialer Interes-
senausgleich.WasdiemodernenvondenantikenGlückslehrenunter-scheidet, ist–naturgemäß–ihre ausgeprägte wissenschaftli-che und technische Orientierung. Die antiken Glückslehrenwussten noch wenig von den im Zuge der Entwicklung der wis-senschaftlichen Medizin verfügbar gewordenen Mitteln der Er-leichterung des Lebens durch die effektive Bekämpfung vonLeidenszuständen. Eine Erleichterung des Leidens wurde fastdurchweg von Verfahren erwartet, die man heute allenfalls alspsychotherapeutische Zusatzverfahren gelten lassen würde: Er-munterung zum tapferen Durchstehen von Schmerzzuständen,die Erziehung zu Leidenstoleranz und die Vermeidung der Quel-len von psychischem Leiden, insbesondere durch VermeidungvonübermäßigengenBindungen„an Sterbliches“.Spätestensseit Comtes Positivismus ist auch die kollektiv-politischeGlückssicherung zu einer auf Wissenschaft gestützten Sozial-technologie geworden. Wie sich das Glück aller oder zumindestvieler erhalten und womöglich steigern lässt, ist zunehmend zueiner Frage einerseits an die empirische Glücksforschung, an-dererseits an die Sozialpolitik geworden. Die Glücksforschung,aber auch die„ökologische Krise“haben dabei wesentlich dazubeigetragen, die Einseitigkeit der Orientierung der Politik amBruttosozialprodukt durch umfassendere Sozialindikatoren zuüberwinden, die auch nichtmonetäre, z.B. soziale und umwelt-bezogene Faktoren der Lebensqualität berücksichtigen.Dennoch werden gegen die„Machbarkeit“desGlücksstetswieder grundsätzliche Einwände erhoben. Vier davon sollen imFolgenden genauer betrachtet werden. 


die Formel in der amerikanischenVerfassung heißt, anzuraten.Ein Moment des„Gelingens“, der Unverfügbarkeit, ist von derVorstellung des Glücks nicht zu trennen. Nicht zufällig lässtsich das Wort„Glück“sowohl im Sinn vonhappinessoderbeat-itudoals auch im Sinn vongood  luckoderfortunaverstehen–einerseits als positive innere Gestimmtheit, andererseits alsGlücksfall in einer mit Unsicherheiten behafteten Unterneh-mung.Macht das„Glücksparadox“jede Glückssuche aussichtslos?Dass Glück nicht mit Garantie herstellbar ist, heißt nicht, dassvielfach nicht doch wichtige Bedingungen des Glücks zumin-dest begünstigt werden können. Darüber hinaus lässt sich voneinigen dieser„Glücksgüter“vermuten,dasssie,wennauchvielleicht nicht Glück bewirken, so doch wenigstens Unglückund Leiden mindern. Viele Leidenszustände, die für die Men-schen früherer Generationen zum Alltag gehörten, sind heuteabwendbar oder zumindest erträglicher geworden. Seitdem esNarkosemittel gibt, sind die Qualen durch Operationen ohneBetäubung verschwunden. Seitdem es Psychopharmaka gibt,können viele psychische Leidenszustände behoben oder gelin-dert werden.Allerdings sind nicht alle Bedingungen, die typischerweiseUnglück und Leiden abmildern, mit derselben Pünktlichkeitherstellbar. So wissen wir durch langjährige Beobachtung, dassWirtschaftskrisen Menschen massiv unglücklich machen kön-nen, etwa durch Verarmung, Verlust des Arbeitsplatzes und er-zwungene Mobilität. So hat sich weltweit die Suizidrate infolgeder Wirtschaftskrise im Gefolge des Zusammenbruchs desBankhauses Lehman Brothers merklich erhöht [1]. Viel wenigerist darüber bekannt, wie sich Wirtschaftskrisen vermeiden las-sen. Die Vermeidung von Unglück scheitert oft an der Unver-meidbarkeit seiner Ursachen.Auch bei den positiven Glücksgütern wissen wir vielfachmehr darüber, welche Glücksgüter welche Wirkung auf dasGlück eines Menschen haben als darüber, wie diese Glücksgüterzu erreichen sind, etwa Gesundheit, persönliche Freiheit, sozia-le Kontakte und Wohlstand. Die Herstellbarkeit des Glücksscheitert daran, dass die Güter, die anerkanntermaßen Glückbedingen, ihrerseits nur begrenzt herstellbar sind.

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